Sie durchliefen die Therapien im Südhang und nehmen nun an der  Arbeitsintegration teil.

Wenn ich auf meine Therapiezeit zurückblicke, meine ich damit sowohl den stationären Aufenthalt in der Klinik Südhang mit den drei Wochen Entzug und den drei Monaten Entwöhnungsprogramm (EP) als auch die neun Wochen in der Tagesklinik (TK).

Die Therapie umfasste einerseits die wöchentlichen Einzeltherapien – auch die Kunsttherapie zähle ich dazu, da ich mich aus meinem Innern heraus kreativ auszudrücken lernte. Andererseits gab es die themenzentrierten Gruppentherapien, wo wir suchtspezifische Themen erarbeiteten und anschliessend in der Gruppe präsentierten und diskutierten.  Auch erwähnen möchte ich die störungsspezifischen Gruppentherapien mit den Schwerpunktthemen Stress- und Konfliktmanagement, affektive Störungen, soziale und emotionale Kompetenz. Bei der Sport- und Bewegungstherapie lernte ich den eigenen Körper wieder zu spüren und konnte meine körperliche Gesundheit aufbauen.

Was waren die Inhalte der Tagesklinik?

In der Tagesklinik waren für mich – neben der Einzeltherapie – die Gruppen Biographie und Selbstfürsorge, Therapieziele und -Planung sowie die Vertiefung der Suchtinfos besonders wichtig. Sie gaben mir immer wieder hilfreiche Inputs für den Umgang mit meiner Suchterkrankung.

Sie blicken auf eine lange Therapiezeit zurück.

Ja, drei Monate EP und neun Wochen TK erschienen mir zunächst  lang, doch ich realisierte bald, dass diese Zeit eher kurz bemessen ist, um eine nachhaltige psychische Stabilisierung zu erreichen. Ich bin froh, dass ich die Chance genutzt habe, mit professioneller Hilfe aus der Suchtspirale herauszukommen, mich in meinem Leben neu zu orientieren. Alleine hätte ich dies nicht geschafft.

Welche Erkenntnisse und Erfahrungen sind für Sie persönlich in der Therapie wichtig gewesen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich ein starkes Engagement sowohl in der Einzel- als auch in den Gruppentherapien lohnt. Durch diese intensive Auseinandersetzung mit meiner Suchtbiographie habe ich den roten Faden darin erkannt. Der Alkohol half mir zunächst, den Stress zu bewältigen oder wenigstens zu ertragen und auch, um mich abends zu belohnen. Das Schlafmittel nahm ich, um verlässlich einschlafen zu können, denn ich hatte Angst, nachts wach zu liegen und somit am nächsten Tag nicht voll leistungsfähig zu sein. Mit der Zeit konnte ich meinen Alkohol- und Schlafmittelkonsum immer weniger kontrollieren – die Sucht- und Abwärtsspirale hatte ihren Weg genommen. Der dadurch erreichte Tiefpunkt hat mich zutiefst erschreckt und sitzt mir noch heute in den Knochen.

Der Schritt aus dem geschützten Rahmen der Klinik zurück in die gewohnte Umgebung wird oft als schwierig beschrieben.

Der Übergang von der stationären Therapie zurück in den Alltag fand durch die Wochenenden zu Hause – mit Übernachtungen von Samstag auf Sonntag – schrittweise statt. Dies war für mich sehr hilfreich. Vorübergehend hatte ich zwei Orte, wo ich mich zu Hause fühlte. Die Atemlufttests und die unangekündigten Urinproben waren initial unterstützend für mich, um abstinent zu bleiben. Mit Craving, also mit einem Suchtdruck, hatte ich nicht zu kämpfen. Die Tagesklinik half ebenfalls den Übergang zu gestalten, von montags bis freitags fand das Therapieprogramm statt, und am Feierabend ging ich nach Hause, in meine gewohnte Umgebung. Natürlich habe ich mir Strategien erarbeitet, um mit allfälligen schwierigen Situationen wie Stress, Frustration, Überforderung, aber auch mit Festen und so weiter umgehen zu können.

Was sind das für Strategien?

Ich habe zum Beispiel gute Freunde, die ich anrufen kann, wenn ich in eine Krise gerate. Mein Psychiater unterstützt mich darin, andere Standpunkte in mein Verhalten mit einzubeziehen oder meine Schwierigkeiten zu relativieren, sie auf ein gesundes Mass zu bringen. Das Wissen, dass ein Craving meist nicht länger als zwanzig bis dreissig Minuten dauert, gibt mir die Zuversicht, diese Zeit überbrücken zu können – zum Beispiel durch Bewegung, Lesen, Filmschauen, Fotografieren und so weiter. Wenn ich mitten in der Nacht Unterstützung brauche, ist die Dargebotene Hand eine Möglichkeit. Ich würde mich auch nicht scheuen, im Südhang für ein Gespräch anzurufen.

Sie haben bereits vor dem Südhang Therapieerfahrungen gesammelt?

Meine Kindheit und Jugend waren für mein Selbstvertrauen nicht förderlich und haben massgeblich zu meinen überproportionalen Ängsten beigetragen. Im Rahmen einer längeren, intensiven Therapie habe ich diese aufgearbeitet. Auch da sehe ich den roten Faden, der sich durch mein Leben zieht. Die verschiedenen Psychotherapien – analytisch und systemisch – haben mir geholfen, mich zu einer entscheidungsfähigen erwachsenen Frau zu entwickeln, mich nicht länger einfach nur als Opfer zu sehen und zu fühlen. Was gewesen ist, ist gewesen, hat Spuren in mir hinterlassen, die mich an meine Vergangenheit erinnern und mir dabei helfen, nicht mehr nach den gleichen Mustern zu handeln. Ich will nicht erneut von vorne anfangen. Wenn sich Probleme in der Gegenwart zeigen, versuche ich diese mit meiner wiedergewonnenen Entscheidungsfähigkeit und nötigenfalls mit Hilfe einer lösungsorientierten Psychotherapie anzupacken.

Stress scheint für Sie bis heute ein wichtiger Faktor zu sein.

Mir ist klargeworden, dass ich mich beruflich verändern muss, um nicht wieder ins gleiche Fahrwasser zu geraten. Ich will dies tun, um mich gesundheitlich nachhaltig zu stabilisieren. Hier arbeite ich im roten Bereich – mit Stressoren in der Aussenwelt – der Stressampel, welche ich in der Gruppe Stress- und Konfliktbewältigung kennengelernt habe. Im gelben Bereich – mit der Stressverstärkung in der Innenwelt – versuche ich, meinen Perfektionismus, meine Ungeduld, meinen Hang zur Kontrolle und zur Einzelkämpferin zu vermindern. Ich möchte lernen, respektvoll mit mir umzugehen, meine Grenzen zu erkennen und sie zu akzeptieren als ein Teil von mir, ohne diese zu verurteilen. Wichtig ist für mich, auch unangenehme Gefühle zuzulassen, anders mit ihnen umzugehen,  ohne sie zu betäuben. In der Gruppe affektive Störungen – mit dem Schwergewicht Depressionen und Angst – habe ich gesehen, dass auch andere Patientinnen und Patienten eine gewisse Zeit lang Antidepressiva und Anxiolytika brauchen, um den Alltag zu bewältigen.

Was erwarten Sie von der Teilnahme am Programm der Arbeitsintegration?

Ich erhoffe mir eine Förderung meiner Belastbarkeit, professionelle Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz im ersten Arbeitsmarkt und damit eine schrittweise Integration in die Arbeitswelt. Ich arbeite gerne in der USM Secondhand Werkstatt, auch wenn die Tätigkeit nichts mit meinem ursprünglichen Beruf zu tun hat. Die Arbeit ist abwechslungsreich und herausfordernd. Das Verantwortungsbewusstsein wird gestärkt, die Teamfähigkeit wird geübt – der Fehler des einen wirkt sich nämlich auf die Arbeit des nächsten im Montageablauf aus. Zudem fühle ich mich von den zuständigen Personen ernst genommen und kompetent begleitet.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Ich hoffe, bald einen Praktikumsplatz zu finden, am sinnvollsten in der von mir gewünschten Berufsrichtung. Ich bin jetzt Mitte fünfzig und kann mir gut vorstellen, nochmals eine berufsbegleitende neue Ausbildung und entsprechende Weiterbildungen zu absolvieren, um wieder im Berufsleben Tritt fassen zu können. Wichtig ist, abstinent zu bleiben, auf meinem Weg weiterzugehen, den neuen Umgang mit Krisen beizubehalten. Ich bin zuversichtlich und freue mich auf meinen neuen Beruf!