Expositionstraining in der Klinik Südhang

Im Rahmen des Behandlungsprogramms «Mensch und Sucht» bietet die Klinik Südhang ein Expositionstraining an: Patient*innen setzen sich gezielt mit substanzbezogenen Reizen auseinander und lernen, das entstehende Verlangen (Craving) auszuhalten, ohne ihm nachzugeben. Ein Gespräch mit Noah Tschirren, einem der Verantwortlichen des Expositionstrainings.

Was hat sich heute Nachmittag in diesem Raum ereignet?

Eine Gruppe von Patient*innen in stationärer Therapie und Behandlung ihrer Suchterkrankung fühlte sich bereit und stark genug, um sich bewusst einer Substanz auszusetzen, mit deren Konsum sie eine Störung aufweisen. Dabei wird die Situation möglichst realitätsnah nachgestellt: Wer ständig Prosecco getrunken hat, setzt sich mit Prosecco auseinander, wer THC konsumiert hat, wird Cannabis ausgesetzt usw.

Wir versuchen mit diesen Substanzen, Suchtdruck auszulösen. Wir wollen, dass das Gehirn der betroffenen Personen aktiviert wird und das Handeln aufruft, zu konsumieren. Wenn dann aber kein Konsum erfolgt, verschwindet der Suchtdruck wieder. Bei wiederholter Exposition ohne Konsum wird der Suchtdruck dann auch nicht mehr so stark auftreten, weil das Gehirn «umtrainiert» wird.

Wie hast du das heutige Expositionstraining erlebt?

Die Gruppengrösse war wie üblich: Von zehn Angemeldeten hat etwa die Hälfte tatsächlich teilgenommen. Die anderen haben sich umentschieden – was völlig in Ordnung ist. Der Moment muss passen. Deshalb führen wir zwei Tage vor der Exposition einen Theorieteil durch. Dieser ist für alle verbindlich – im Gegensatz zum praktischen Teil, der eigentlichen Exposition.

Auch die Bandbreite der Reaktionen war heute typisch: Einige verspüren wenig Suchtdruck, andere halten es kaum aus. Dazwischen gibt es so ziemlich alle Abstufungen an Empfindungen.

Hängt es von der Substanz ab, wie die Teilnehmenden auf die Exposition reagieren?

Ja, zum Teil. Es gibt Teilnehmende, die bei illegalen Substanzen sagen: «Das ist ja gar nicht echt, das berührt mich nicht» – gerade beim Kokain kommt das häufiger vor. Andere wissen zwar, dass vor ihnen kein echtes Ketamin liegt, reagieren aber trotzdem sehr stark. Insgesamt ist das Training sehr anspruchsvoll. Alles läuft bewusst langsam, fast träge ab, weil man sich den negativen Gefühlen und den Erinnerungen stellen muss, die dabei ausgelöst werden. Weil das sehr anstrengend ist, baue ich kurz vor Schluss eine Pause ein, damit sich die Teilnehmenden erholen können. Danach ist der Suchtdruck meist völlig verschwunden – das ist mir wichtig.

Eine Frage zum Theorieteil: Welche Informationen vermitteln Sie – und warum ist diese Einführung wichtig?

Ich erkläre den Teilnehmenden, was im Gehirn bei einer Abhängigkeitserkrankung passiert – wie das Belohnungssystem funktioniert und wie Suchtdruck entsteht. Sie erfahren, welche Auslösereize das Craving anstossen und wie die subkortikalen Hirnstrukturen, oft unbewusst und gesteuert durch eine Art Autopilot, zu diesem Verlangen führen. Auch die Rolle der Konditionierung wird thematisiert.
Wir beleuchten die physiologischen Zusammenhänge im Detail, damit die Betroffenen verstehen: Sucht hat nichts mit fehlender Willenskraft oder persönlicher Schwäche zu tun. Es gibt messbare Prozesse im Gehirn, die erklären, warum ein Ausstieg so schwierig ist – selbst, wenn der Wille dazu vorhanden ist.

Heute war zu beobachten, dass bei einem Teilnehmer starke Reue aufkam. Er fühlte sich sehr schlecht, weil er durch den Kokainkonsum so viel verloren hat. Hätte man auf dieses Thema nicht stärker eingehen sollen?

Das ist richtig – es handelt sich um ein therapeutisches Thema, das man grundsätzlich hätte vertiefen können. Ich wollte jedoch gezielt bei der Beobachtung der Symptome des Suchtdrucks bleiben und mich nicht thematisch verzetteln. Ausserdem ist dieses Thema eher für die Einzeltherapie geeignet als für die Gruppensitzung.

Ich werde die Beobachtung an den zuständigen Therapeuten weiterleiten, damit das Thema im nächsten Einzelgespräch aufgegriffen werden kann.

Weitere Informationen zum Expositionstraining

Das Expositionstraining: Eine innovative Behandlung mit Wirkung

Im Expositionstraining werden Patient*innen gezielt mit substanzbezogenen Reizen konfrontiert, um ihr Verlangen zu schwächen. Eine Ausführung.

Mittendrin im Expositionstraining

Eindrücke aus der Durchführung des Expositionstrainings mit stationären Patient*innen der Klinik Südhang in Ton und Bild.

Konzept und theoretischer Hintergrund

Die Cravingkurve steigt mit der Zeit weniger an und flaut rascher wieder ab. Der wissenschaftliche Hintergrund für Fachpersonen.

Zwei Erfahrungsberichte